Chorhalle – Pflegende Hand – Überprüfung und Überarbeitung der Wand-, Pfeiler- und Fensterflächen Nordseite – 2022

Baubeschreibung:

Die einschiffige Chorhalle, als Capella vitrea erbaut, ist eine einzigartige Konstruktion. Dazu ein paar Daten: 33 m hoch, 17 m breit, 35 m lang, 1000 qm Fensterflächen, 26 m hohe Fensterbahnen, 10 % Pfeilerflächen, keine Seitenschiffe.

Sie wurde östlich an das Oktogon auf Initiative des Marienstiftes und des Aachener Bürgermeisters Gerhard Chorus zwischen 1355 und 1414, aufgrund ihrer großartigen Bleiglasfenster Glashaus von Aachen genannt, angebaut.

Der karolingische Ostabschluss der Kirche wurde abgetragen, um eine optische Verbindung zwischen dem Oktogon und der neu errichteten gotischen Chorhalle zu schaffen. Aus freistehenden Pfeilern und Bögen wurde an der Stelle des karolingischen Altarraums der Marien- oder Krönungschor errichtet, zu dem 1455 der Propst Gerhard Graf von Sayn die Estrade stiftete. Das Marienchörchen wurde im Rahmen der barocken Umgestaltung 1786 abgetragen und durch einen barocken Marienaltar mit Balusterwand ersetzt. Der Marienschrein wurde dabei entfernt und abwechselnd in verschiedenen Seitenkapellen aufgestellt.

Ihre Außenwand ist weitestgehend in Fenster aufgelöst, die mit einer Höhe von 25,5 m zu den höchsten gotischen Fenstern in Europa zählen. Die mehr als 1000 Quadratmeter Glasfläche war als gleichsam gläserner Reliquienschrein für die im Marienschrein aufbewahrten Aachener Heiligtümer und die Gebeine Karls des Großen, welche im Karlsschrein aufbewahrt werden, gedacht. Die Chorhalle wurde als Saalchor mit zentrierendem Polygon konzipiert. Der Chorschluss besteht aus neun Seiten eines Vierzehnecks.

Die Architektur orientiert sich am Vorbild der Sainte-Chapelle in Paris, ebenfalls Aufbewahrungsort wichtiger Reliquien und königliche Palastkapelle. Zur Sicherung der Gewölbe der Aachener Chorhalle wurden bereits während der Bauzeit eiserne Zuganker eingebaut, um den Seitenschub auf das schmale Tragwerk zu reduzieren und dazwischen möglichst viel Fensterfläche zu belassen.

Bei Restaurierungsarbeiten 1995 bis 2000 wurden an der gesamten Nordwand und auf einem kleinen Abschnitt der Südwand der Chorhalle gotische, eingefärbte Ritzzeichnungen entdeckt. Die Zeichnungen, die um 1400 entstanden, wurden erst nach der Demontage des Chorgestühls sichtbar. Die neun Zeichnungen für acht Bauteile stellen spätmittelalterliche Bauzeichnungen der Bauhütte dar. Die Bauteile wurden in Originalgröße vorgezeichnet und mehrfach korrigiert. Neben Maßwerkzeichnungen und einem Schnitt durch die Erdgeschosswand sind Risszeichnungen von Blendfialen der Strebepfeiler, Spitzbogenarkaden, ein Vier- und ein Fünfpass sowie eine Verbindung der Strebepfeiler identifiziert worden. Es wird angenommen, dass die Zeichnungen vom Meister Enghelbertus angefertigt wurden. Sie bieten einen seltenen Einblick in die spätmittelalterliche Bauplanung.

Kurz nach der Fertigstellung der Chorhalle um 1430 wurden die Chorpfeilerfiguren aus Baumberger Sandstein aufgestellt. An der Südseite des ersten Chorjoches angebracht ist der Ambo Heinrichs II. aus dem frühen elften Jahrhundert. In den Boden der Chorhalle ist das Grab Kaiser Ottos III. eingelassen, der an Ostern des Jahres 1002 in der damaligen Aachener Stifts- und Krönungskirche St. Marien, im Sechzehneck, beigesetzt wurde. Nach der Fertigstellung der Chorhalle wurde der Sarkophag Ottos III. in die Mitte der Chorhalle umgebettet. Ein weiteres besonderes Kunstwerk stellt die in der Chorhalle angebrachte Strahlenkranzmadonna aus dem Jahr 1524 dar. Sie wurde von dem bedeutenden Maastrichter Bildschnitzer Jan van Steffeswert gefertigt.Die doppelseitige Madonna mit Kind ist von einem später hinzugefügten Strahlen- und Wolkenkranz umgeben.

Nachdem die mittelalterlichen bunten Bleiglasfenster 1729 durch Hagelschlag zerstört wurden und man die wiederhergestellte Verglasung 1779/80 gegen schlichte Klarglasfenster ausgewechselt hatte, entschied man sich Ende des 19. Jahrhunderts für eine neogotische, fünfbahnige Verglasung mit einem zentralen Motiv. Durch Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs wurden die Fenster der Chorhalle nahezu vollständig zerstört und es erfolgte in den Jahren 1949 bis 1951 unter Walter Benner und Anton Wendling eine durch zahlreiche öffentliche und private Spenden finanzierte umfassende, moderne Wiederherstellung.

Beschreibung der Maßnahme ‚Pflegende Hand‘:

In den Jahren 1991 bis 2001 wurde an der Chorhalle eine Grundsanierung durchgeführt. Im Bereich des Natursteinmauerwerks aus Herzogenrather Sandstein wurden Steinquader ausgetauscht und wo nötig Fugen erneuert. Das Maß- und Stabwerk der Fenster aus Savonnieres Kalkstein wurde mittels eines reversiblen Kalkanstrichs gegen weitere Verwitterung geschützt. Das Eisenwerk der Fenster erhielt einen neuen Anstrich. Bei einer Befahrung mit einer Hubarbeitsbühne im Oktober 2015 und August 2016 konnte der Zustand überprüft werden. Insgesamt haben sich die Maßnahmen bewährt.

Dort wo neue Quader und Fugen eingebaut worden sind, zeigen sich keine Schäden. Da wo vor 20 Jahren kein Handlungsbedarf gegeben war, zeigen sich jetzt jedoch einige Unzulänglichkeiten, meist offene Fugenbereiche. Hier besteht dringend Handlungsbedarf um Nachfolgeschäden im Natursteinmauerwerk zu verhindern.

Auch der reversible, mineralische Schutzanstrich der Fensterrippen ist durch die Witterung reduziert. Auch hier muss dringend der Schutzanstrich erneuert werden um Substanzverlust zu verhindern. In diesem Zusammenhang sollte auch das Eisenwerk, dass Rostansätze zeigt, einen neuen Anstrich erhalten.

Vorspringende bzw. ständig durchnässte Bauteile zeigen starke Bemossung. Wasserläufe werden dadurch behindert, die Durchfeuchtung führt zu Schalenbildung der Natursteine. Eine Metallabdeckung wäre hier denkbar, evtl. auch eine Bearbeitung mit Nano-Produkten.

Diverse Anmörtelungen aus den 70-90er Jahren lösen sich teilweise ab. Diese müssen nachgearbeitet bzw. erneuert werden.

Für die Ausführung der Arbeiten stehen für den Aachener Dom entwickelte Produkte zur Verfügung: Fugmörtel G2, der für die Sanierung der Anna- und Matthiaskapelle und jetzt aktuell für die Taufkapelle verwendet wird; Steinersatzmörtel SEM138, der ebenfalls für die Sanierung der Anna- und Matthiaskapelle und jetzt aktuell für die Taufkapelle verwendet wird.

Mit der Ausführung der Arbeiten soll ab Mai 2022 begonnen werden. Grundvoraussetzung hierfür sind natürlich die Zusagen über Zuwendungen der öffentlichen Hand. Anträge wurden an das Land NRW und die Stadt Aachen gestellt. Finanziell unterstützt wird das Projekt durch das Bistum Aachen und den Karlsverein-Dombauverein.

Helmut Maintz
Dombaumeister

 

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